"Was wir brauchen, ist ein neues Denken!"
Wachsende Armut und Arbeitslosigkeit sind kein Dritte Welt-Thema. Sozialabbau, Verschuldungskrisen und eine Sparpolitik, die den Menschen längst aus dem Blick verloren hat, sind auch in Europa an der Tagesordnung. Beim 15. Forum zum Tag der Arbeit in der Betzdorfer Stadthalle stellte sich der Caritasverband (CV) Rhein-Wied-Sieg deutlich an die Seite der Armen und Schwachen.
Caritas-Geschäftsführer Rudolf Düber moderierte das 15. Forum zum Tag der Arbeit. Am Podium (v. links): Paul Freyaldenhoven, Herbert Böttcher und Hans Casel.
"Keinen Menschen dürfen wir abschreiben. Es ist nicht Recht, wenn Menschen fallen gelassen und beispielsweise in der dauernden Arbeitslosigkeit entsorgt werden", kritisierte der CV-Vorsitzende Pfarrer Paul Freyaldenhoven in seiner Begrüßung.
Brot und Rosen
Caritas-Geschäftsführer Rudolf Düber machte deutlich: "Die Menschen brauchen beides: Arbeit und Auskommen sowie ein Leben in Würde. Brot und Rosen." Auch zu seinem 15. Forum hatte der CV versierte Redner eingeladen, die sich dem Thema von unterschiedlichen Blickrichtungen her annahmen.
Verfestigte Sockelarbeitslosigkeit: "Das Gewürge findet kein Ende"
Hans Casel, der Bischöfliche Beauftragte der Aktion Arbeit, stellte dabei direkt zu Beginn klar: "Der Umgang mit der verfestigten Sockelarbeitslosigkeit ist so daneben, dass er kaum nachvollziehbar ist für diejenigen, die nicht täglich damit zu tun haben!" So näherte er sich der "verqueren Situation" mit einem ganz praktischen Beispiel: Er selbst, ehemals Fußballer in der Rheinland-Liga, wird als Mitsechziger noch einmal zum Vorstellungsgespräch für einen 3. Liga-Club eingeladen.
Hans Casel, Beschöflicher Beauftragter der Aktion Arbeit.
Er könne qualifiziert und trainiert werden ohne Ende, trotzdem schaffe er es aus natürlichen Gründen in seinem Alter nicht mehr, bei den Profi-Fußballern mitzuhalten. Genau das würde aber mit der Fokussierung auf den Grundsatz des Förderns und Forderns seitens des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) und der Bundesagentur für Arbeit versucht. "Menschen mit multiplen Vermittlungshemmnissen kann ich qualifizieren bis zur Unkenntlichkeit - sie werden es nicht schaffen, von wenigen Ausnahmen abgesehen!" Denn nicht aus jedem könne ein Opernsänger, ein Modemodell oder ein Professor gemacht werden - "Gott hat seine Gaben sehr unterschiedlich verteilt."
Forderung nach sozialem Arbeitsmarkt
Casel fordert deshalb deutlich: "Wir brauchen geeignete Arbeitsplätze für leistungsgeminderte Langzeitarbeitslose, die arbeiten wollen!". Stattdessen sei das einzige zugelassene Ziel des SGBII eine Vermittlung in ungeförderte Beschäftigung. Aber: "Die Latte des Arbeitsmarktes liegt für viele zu hoch!" Es gebe teure und aufwändige Maßnahmekarrieren statt einer dauerhaften Förderung in stetige, wertschöpfende Arbeit. Als Schuldige der Misere sieht Casel klar die Uneinsichtigkeit der Arbeitsmarktpolitik und verlangt mehr Menschlichkeit: "Wenn wir mehr wollen als eine gut geölte Wirtschaftsmaschinerie, wenn wir unserem Leben ein wenig Glanz geben wollen, dann brauchen wir ein neues Denken!"
Barmherzigkeit und Gerechtigkeit
Am Beispiel des Apostolischen Schreibens "Evangelii Gaudium" von Papst Franziskus näherte sich der Pastoralreferent Herbert Böttcher der Frage nach Gerechtigkeit und Barmherzigkeit.
Pastoralreferent Herbert Böttcher
"Die Frage nach Gerechtigkeit und Barmherzigkeit ist nicht einfach eine Konsequenz des Glaubens, sondern gehört zum Glauben selbst und damit zum Kirche sein." Das theologische Verständnis von Barmherzigkeit führe zu einer kritischen Auseinandersetzung mit einer Gesellschaft, die strukturell ungerecht sei, weil sie Menschen aussondere und wegwerfe.
Papst Franziskus: "Diese Wirtschaft tötet"
"Menschen werden unterschieden zwischen solchen, deren Humankapital verwertbar und die damit ausbeutbar sind, und solchen, deren Arbeitskraft und damit deren Existenz ‚überflüssig‘ sind." Der Kern der Gerechtigkeit sei für Papst Franziskus das Recht auf Leben und Zugang zu dem, was Menschen für ein Leben in Würde und zur Teilhabe am Zusammenleben einer Gesellschaft brauchen. Dies sei der Maßstab, an dem eine Gesellschaft gemessen werde. Böttcher selbst sieht Franziskus Bewertungen als ausgesprochen mutig an, würden sie doch weit über das hinausgehen, was in der deutschen Kirche diskutiert werde. Die Diskussion müsse aber darüber hinausführen. Bei einer Reflektion über die Wirtschafts-Mechanismen, die Menschen ausschließen, würden die Grenzen der Arbeitsgesellschaft deutlich: Einerseits würden die Menschen durch Arbeitslosigkeit und prekäre Arbeit von der Gesellschaft ausgeschlossen, andererseits unterlägen sie jedoch nach wie vor gesellschaftlichen Zwangsverhältnissen.
Der Caritas-Chor umrahmte das Programm musikalisch.
"Auch Arbeitslose müssen unter Androhung des Entzugs der Existenzgrundlage bereit sein, sich der Herrschaft der Arbeit zu unterwerfen." In der Krise der Arbeit würde auch die Krise des Kapitalismus deutlich, der sich mit dem Entsorgen menschlicher Arbeit seine eigene Grundlage entziehen würde. "Der Kapitalismus kann nur noch auf Pump existieren!"
Umdenken notwendig
Auch Böttcher sieht daher die Frage nach einer grundlegenden Umorientierung und Umgestaltung der gesellschaftlichen Grundlagen für unumgänglich
An die Statements der Redner schloss sich eine von Rudolf Düber moderierte lebendige Aussprache unter Beteiligung der vielen Zuhörer an. Den musikalischen Rahmen gestaltete der Caritas-Chor unter Leitung von Anita Brucherseifer.