20 Jahre Gelbe Villa, 10 Jahre MGH
Fast jeder in Kirchen und Umgebung kennt die Gelbe Villa oder hat zumindest schon von ihr gehört. Fragen wir Passanten auf der Straße, erzählen sie uns, dass die Gelbe Villa ein Zentrum für psychisch kranke Menschen ist, die dort von der Caritas begleitet werden und hier einen Ort gefunden haben, wo sie lernen, mit ihrer Krankheit zu leben.
Außerdem berichtet uns eine junge Frau, gehe es auch darum, eine sinnvolle Tagesstruktur aufzubauen, die dem Lebensinhalt Sinn geben soll.
Wir sind erstaunt über die aussagekräftigen Informationen.
Ob diese Aussagen denn so zutreffen, fragen wir die Diplom-Sozialpädagogin Christine Haubrich, die vor einem Jahr als Nachfolgerin des jetzigen Caritas-Direktors Eberhard Köhler, die Leitung des Teams übernommen hat.
Die Sozialpädagogin, die seit über 20 Jahren beim Caritasverband Betzdorf tätig ist und der Sozialpädagoge Gregor Scheliga, der ebenfalls seit 20 Jahren mit dabei ist und der die Tagesstätte leitet, bestätigen dies und erklären aber schmunzelnd, dass es nicht immer so war…
Gregor Scheliga (Leiter der Tagesstätte) und Christine Haubrich (Teamleiterin) freuen sich auf viele Besucher beim Festtag.
Der wichtige Tabu-Bruch
In den 70er Jahren waren psychische Erkrankungen in unserer Gesellschaft kein Thema. 1970/71 gab es im Bundestag eine Anfrage dazu, denn es gab die psychischen Erkrankungen natürlich, aber sie waren eben ein Tabu-Thema und auch die Politik hielt sich bedeckt.
Erst in den 80er Jahren äußerten sich Experten öffentlich zu dem Thema und konnten erreichen, dass ihnen in Politik und Gesellschaft ausreichend Gehör geschenkt wurde.
Der erste Geschäftsführer der Betzdorfer Caritas, Alfons Hassel, hatte die Probleme psychisch kranker Menschen, vor allem hier im ländlichen Raum bereits früh erkannt. Auf seine Initiative entstand schon 1977 die Dienstagsgruppe, ein angeleiteter Gesprächskreis für Betroffene, die sich bis heute, 40 Jahre später immer noch an diesem Tag trifft.
Die Anfänge der Gelben Villa
In der folgenden Zeit gab es viele Bemühungen, die Hilfe für psychisch kranke Menschen aufzubauen. Die Arbeit trug Früchte: Am 3.Dezember 1993 konnte das Haus Bahnhofstraße 14 in Kirchen, welches wir heute als die Gelbe Villa kennen, für das erste Betreute Wohnen bezogen werden. Durchschnittlich lebten hier 6 Personen in dieser Wohngemeinschaft der Caritas zusammen. Sie kamen zum Teil aus dem Langzeitbereich der damaligen Landesnervenklinik in Andernach.
Ziel war es, durch ein ambulantes komplementäres Betreuungsangebot, welches einen nachweislich hohen Rehabilitationswert hat, die Bewohner bei dem Aufbau der verloren gegangenen Lebensqualität zu unterstützen und neuen sinngebenden Lebensraum zu schaffen, nach dem Motto "So viel wie nötig, so wenig wie möglich."- Die Wohngemeinschaft wurde damals im Rahmen einer halben Stelle von einer Sozialpädagogin betreut. Damit begann auch die langjährige und hervorragende Zusammenarbeit mit der Kreisverwaltung Altenkirchen, auf die heute sehr zufrieden zurückgeblickt werden darf und die weiterhin besteht.
Die "Gelbe Villa" in Kirchen: Seit fast 25 Jahren ein Ort zum Wohlfühlen, Treffen und genesen.
Außerdem entstand in dieser Zeit die Gruppe "Angehöriger psychisch kranker Menschen", die ebenfalls bis heute existiert.
Ende 1994 und im Verlauf des Jahres 1995 entstand dann eine weitere Wohngemeinschaft für drei Personen in Herdorf, sowie vier Plätze für Einzelbetreuungen, also Menschen, die alleine in ihrer Wohnung leben.
Parallel zu dieser Entwicklung wurde mit Unterstützung des Fachdienstes "Caritas der Gemeinde", ein ehrenamtlicher Helferkreis gegründet und geschult, um die Gemeindenähe zu stabilisieren und die Tätigkeit transparenter zu machen.
In den nächsten Jahren entstanden weitere Wohngemeinschaften: Niederschelderhütte, Alsdorf, Niederfischbach, Kirchen 2.
Im Frühjahr 1995 war auf Bestreben von Eberhard Köhler und Christine Haubrich der offene Treff für psychisch kranke Menschen entstanden. Der Treff war wöchentlich sechs Stunden geöffnet und erfreute sich großer Beliebtheit, war es doch eine unkomplizierte Möglichkeit des Austauschs, der Pflege sozialer Kontakte und der pädagogischen Unterstützung bei Schwierigkeiten.
Bald zeigte sich die Notwendigkeit des Ausbaus des Treffs, denn die von einer psychischen Erkrankung betroffenen Menschen forderten verstärkt nach mehr sinnvoller Tagesstruktur. Dazu reichte die Zeit im Treff und im Betreuten Wohnen nicht aus.
Im Sommer 1996 wurden auf Drängen von Geschäftsführer Rudolf Düber und Sozialarbeiter Eberhard Köhler der damalige Staatssekretär Klaus Jenssen und der Psychiatriebeauftragte Bernhard Scholten in die Gelbe Villa eingeladen, wo ihnen das Konzept einer Tagesstätte mit angegliederter Kontakt-und Informationsstelle vorgestellt wurde.
Man erkannte, dass der Einsatz der Caritas für psychisch kranke Menschen ein gelungenes Beispiel für die Umsetzung der Psychiatriereform war und der ständige Ausbau zeigte, dass man hier offen ist für neue Dinge.
Im Januar 1997 fand dann eine Erweiterung des Angebots mit der Entstehung der Tagesstätte und der Kontakt- und Informationsstelle statt. Die Tagesstätte bot anfangs Plätze für neun Personen. Heute sind es 22 Menschen, die hier an 5 Tagen wöchentlich zusammen kommen, um durch den Aufbau einer sinnvollen Tagesstruktur zu lernen, mit ihrer Krankheit zu leben.
Die Kontakt-und Informationsstelle übernimmt unter anderem die Akquise, Erstgespräche, Einführung und Informationsvermittlung.
Darüber hinaus ist sie zum Beispiel auch für die Begleitung des Treffs zuständig, der Donnerstagnachmittags erhalten geblieben ist.
Ein starkes Netzwerk
Nimmt man die letzten 20 Jahre gemeindepsychiatrischer Tätigkeit kann man in der Gelben Villa auf ein komplexes Netzwerk der Hilfe mit sehr verlässlichen Partnern, um nur einige zu nennen, in erster Linie der Kreisverwaltung Altenkirchen und dem Sozialministerium in Mainz, sowie anderen Wohlfahrtsverbänden (Diakonie Westerburg und Altenkirchen, Caritasverband Altenkirchen, Betreuungsvereine von SKFM, AWO und Diakonie), Betreuer, Ärzte, Psychiatrische Institutsambulanzen in Wissen und Kirchen, psychiatrische Abteilung des St. Antoniuskrankenhauses in Wissen, Klickerverein Kirchen und Synergieeffekte durch die Beratungsangebote der eigenen Geschäftsstelle, zurückblicken.
Am 27.September feiert die Gelbe Villa nun das 20-jährige Bestehen von Tagesstätte und Kontakt- und Informationsstelle.
Und was geschieht eigentlich heute in der Tagesstätte?
Mit sage und schreibe 14 regelmäßigen Gruppenangeboten in der Woche bietet die Tagesstätte eine Struktur, in welcher alle Aspekte der psychischen und physischen Gesundheit gefördert und gefordert werden. Dabei baut das Team auf mehreren Ansätzen auf:
- Bewegungsangebote
Anita Brucherseifer, Musiktherapeutin in der Gelben Villa.
- Freizeitaktivitäten
- Therapeutische Angebote
- Alltagstraining, Haushaltstraining
Das soziale Miteinander bei Frühstück und Mittagessen, den Gruppen zum Wochenanfang und zum Wochenende, das gemeinsame Begehen aller Festlichkeiten des Jahres und der Geburtstage - das lässt keine Einsamkeit und kaum Raum für Rückfälle zu.
Ein exemplarischer Tag in der Tagesstätte
Ein Besucher der Tagesstätte berichtet, wie einige Tage aussehen können: Ich werde jeden Morgen vom Fahrdienst gegen viertel vor 8 abgeholt. Das ist immer ein Grund aufzustehen und sich nicht gehen zu lassen, auch wenn es mir mal nicht so gut geht. Der Montag startet mit der Achtsamkeitsgruppe, in welcher unsere Sinne geschult werden. In der Montagsgruppe fragt uns der Tagesstättenleiter, Gregor Scheliga, wer fehlt, wie das Wochenende verbracht wurde, er spricht Planungen und gruppenrelevante Themen an, der Essensplan wird vorgestellt, und kurz Besonderheiten des Fahrdienstes usw. In der Soziogruppe wird eine Kurzgeschichte vorgelesen, wir werden aufgefordert, eine Szene daraus zu malen. Darüber geraten wir ins Gespräch und diskutieren über beschützen und beschützt werden. Am Nachmittag gewinne ich beim Kegeln (lacht) und
Die Kreativangebote in der Gelben Villa erfreuen sich größter Beliebtheit.
dienstags zeigt mir die Ergotherapeutin Frau Latsch, wie man Wildleder näht. Ich stelle mir selbst eine Handytasche her, so etwas hatte ich mir eigentlich gar nicht mehr zugetraut. Beim offenen Singen gebe ich mit den Bongos den Rhythmus an, die Musiktherapeutin Anita Brucherseifer motiviert mich, auch neue Rhythmen auszuprobieren. Nachmittags wandere ich mit der Nordic-Walking Gruppe zum Druidenstein. Diese Gruppe ist neu, sie heißt "Aus dem Häuschen-Gruppe" und sorgt für frischen Wind und gute Laune, ich schlafe dann abends erholter und grübele nicht so viel.
Das ist nur ein kleiner Einblick. Die Mitarbeiter bieten auch Einzeltherapien an und sind für alle Probleme ansprechbar. Jetzt, wo es mir selbst einigermaßen gut geht, sehe ich die hohe Motivationsarbeit, die hier geleistet wird. Denn es sind ja einfach viele betroffene Menschen, die sich mit den unterschiedlichsten Beeinträchtigungen und Ängsten herumschlagen.
Kontinuität im multiprofessionellen Team
Die Mitarbeiterinnen, seit 20 Jahren das gleiche Team, bringen neben ihren Berufen
Elke Latsch, die Ergotherapeutin in der Gelben Villa.
Zusatzqualifikationen wie z.B. Musiktherapie, systemische Beratung, Musikgeragogik und den Einsatz von ergotherapeutischen Assessments zur Erfassung von Betätigungsfertigkeiten mit.
Die Ergotherapeutin Elke Latsch sagt, es ist hier wie das Tageswohnen einer Großfamilie, denn es gibt fast keinen Lebensbereich, mit dem wir nicht konfrontiert werden.
Gelbe Villa wird Mehrgenerationenhaus, ein weiterer Meilenstein
Am 01. April 2017 war es soweit und in der Gelben Villa musste "zusammengerückt" werden: Das Mehrgenerationenhaus "Gelbe Villa" ging an den Start, damals unter der Leitung von Angela Edl-Pfeifer, und belegte die untere Etage des Hauses. Hier gab es einen Offenen Treff dienstags und donnerstags, schon seit langen DI-DO genannt, sowie viele offene Angebote für Menschen jeden Alters und aller Kulturen. Ob jemand psychisch krank, anderweitig beeinträchtigt ist, spielt keine Rolle: Wer möchte, kann mit aktiv werden. Hier findet sich auch Beratung und Hilfe in vielen Lebensangelegenheiten. 2009 übernahm Karin Zimmermann die Leitung des Bereichs MGH.
Anfang 2014 musste das MGH, durch Brandschutzverordnungen bedingt, umziehen, und hat nun seinen Platz im benachbarten "Kutscherhaus".
Doch von seiner Lebendigkeit und Kreativität hat es nichts verloren.